3.
Kapitel Teil 1
Amina
entdeckt Arnulf im Stall
Ihre
Schultern schmerzen vom täglichen Tragen der schweren Töpfe in der Küche. Sie
fröstelt, obwohl sie gleich nach dem Aufstehen um halb fünf ein buntes Kopftuch
über die dunklen Locken geknotet hat. Das graue Wolltuch hat sie fest um ihren müden
Körper gezogen. Ihre braunen Augen sind noch matt, sie geht langsam in den
ungeliebten Holzschuhen über den holprigen Hof zum Stall. Wie durch einen Schlitz in einem Vorhang teilt eine schmale
Mondsichel den bläulichen Himmel des frühen Morgens. Kein Laut ist zu hören. Sie will in die
Stallruhe eintauchen, den lauwarmen Milchstrahl in den Eimer strudeln hören,
ihren Kopf an die warme Flanke der Kuh Blume legen. Immer wenn Lina krank ist,
muss sie einspringen. Sie hat sich daran gewöhnt, auch noch Magdarbeit zu
machen. Sie tut alles ohne Widerspruch, eigentlich hat sie es ja ganz gut in
diesem Haus, bei den Edens, wenn nicht die heimtückische Babette im Haus ihr
das Leben oft so schwer machen würde. Sie gönnt ihr nichts, schneidet
Grimassen, wenn sie kommt, freut sich, wenn Amina hart arbeiten muss und sie
selbst Frau von Edens weiches Haar richten darf. Einmal hat sie „Zigeunerin“
gezischt, als sie an ihr vorbei das Zimmer verließ. Ständig will sie Amina eins
auswischen, sie bei Frau von Eden schlecht machen. Einmal wollte sie sich bei
Frau von Eden darüber beschweren, die hat abgewinkt und nur gesagt:
„Babette
ist nun mal die Erste hier und kennt sich aus. Ich will nichts von eurem
Geplänkel hören.“
Was
man über den Krieg hört, ist beängstigend. Immer wieder kommen Nachrichten über
Familien, deren Söhne in den Krieg ziehen müssen. Das Essen ist knapp für die
Bevölkerung. Auf dem Gut leiden sie noch keine Not. Sie wurden auch noch nicht
von marodierenden Soldaten Gustav Adolfs aufgesucht, wie es in der
Nachbarschaft schon vorgekommen ist. Sie haben Glück gehabt. Immer sind sie wachsam
und leben in Angst. Gustav Adolf ist nach Seligenstadt über den Main gekommen.
Es wurde erzählt, dass er den Stadtschlüssel an Seligenstadts Bürger
zurückgegeben hat. Bei seinem Einzug letztes Jahr übergaben sie ihm den
Schlüssel, er händigte ihn wieder aus und zog im November weiter nach Würzburg.
Seine Frau Eleonore kam vor ein paar Tagen auf dem Weg nach Nürnberg durch
Seligenstadt, sie soll einen tanzenden Affen mitgeführt haben, der wie ein
Kapuziner mit einer Mönchskutte bekleidet war und einen Rosenkranz um die
Hüften trug. Wenn das kein Hohn auf alles Katholische ist.
Amina
stößt die schwere Stalltür auf, sie knarrt wie immer. Blume steht ganz außen,
sie ist die erste Kuh. Im Stall daneben kann man durch die offene Tür die
Pferdeboxen sehen. Sie streicht Blume ein wenig ums Maul, klopft ihr den Hals,
holt den Eimer, setzt sich auf den Schemel. Gerade will sie melken, da bemerkt
sie die Unruhe der Tiere. Heute Morgen scheint etwas anders zu sein als sonst.
Blume dreht ständig nervös den Kopf hin und her, schlägt mit dem Schwanz aus,
reagiert empfindlich auf jede Berührung des Euters. Auch die anderen Tiere im Stall sind
ungewohnt beunruhigt, vor allem der Schimmel scharrt ständig mit den Hufen,
schlägt sogar manchmal kräftig gegen die Holzwände der Box. Amina dreht sich
halb, hinter ihr liegt der Gang zum Pferdestall. Sie hat die ersten beiden
Pferdeboxen im Blick. Die zweite Tür steht leicht offen. Seltsam. Der Schimmel
blickt sie an, wirft den Kopf hoch und scharrt wieder mit dem Vorderhuf. Eine
braune Stiefelspitze aus weichem Leder ragt aus der Tür. Nur einer trägt solche
feinen Stiefel … der Herr. Der Herr? Sie schlägt die Hand vor den Mund. Warum
liegt er auf dem Boden? Wieder nickt der Schimmel, scharrt weiter. Amina erhebt
sich halb, richtet sich auf, Schritt für Schritt geht sie zur Pferdebox, so als
ob sie gezogen würde. Sie stößt die Tür an, tritt ein, blickt in Arnulfs große,
unnatürlich glänzende Augen, hellgrüner Schaum läuft aus seinem Mund und
besudelt seine Lederweste. Ihre Hand fährt zur Kehle, die ganz eng geworden
ist, als ob sie den Schrei, der herauswill, einsperren wollte. Er will
sprechen, sie hört nur ein Gurgeln, sieht die grünen Blasen vor seinem Mund.
Gift ist ihr erster Gedanke. Gift? Er will sich aufrichten, nach ihrem Bein
greifen, sich festkrallen, hochziehen. Sie weicht zurück. Sein Arm fällt schwer in das Stroh, das Pferd
stößt ein Wiehern aus, anders klingt es als das gewohnte Wiehern, schrill und
laut. Sie starrt auf den Mann im Stroh, Schweiß rinnt ihr jetzt den Rücken
herunter. Er ist es, Arnulf von Eden,
auch ihr Peiniger! Sein grässlicher Mund klappt auf und zu, bleibt offen
stehen, sein Kopf fällt zur Seite, das braune Mal auf seiner linken Wange hebt
sich ab von der weißen Haut, die Füße sind zur Seite gefallen. Amina steht da
wie festgewachsen. Warum muss ausgerechnet ich ihn entdecken? Das ist mein Ende
in diesem Haus. Was soll ich tun? Ich muss weg, fort von hier. Mich werden sie
als Erste verdächtigen, mich, die Fremde, die ich immer bleiben werde. Und wenn
es wirklich Gift ist, dann werden sie denken, dass ich die Hand im Spiel habe.
Viele wissen, wie lange ich bei Kräutergrete wohnte, bis Gott sie zu sich
geholt hat.
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