Good morning, dear friends,
Guten Morgen, liebe Freunde,
ich habe Euch lange vermisst und Ihr mich hoffentlich auch. Jedenfalls bin ich jeden Tag mit Amina beschäftigt und schreibe nun die Vorgeschichte zu "Aminas Welt" die Ihr ja schon kennt.
Zur Erläuterung, die Amina in der Vorgeschichte ist Samiras Amme, an die Samira sich in ihrem Exil immer liebevoll erinnert. Das führt dann dazu, dass sie ihr erstes Kind nach ihr nennt - Amina.
Aber soweit ist es noch nicht, wie Ihr wisst, wurde Aminas Mutter Samira geraubt, wurde als Schiffbrüchige gerettet und lebte dann in der heutigen Türkei, damals, im Jahr 1580, das Osmanische Reich.
Ich werde Euch hier von Zeit zu Zeit kleine Kostproben senden aus meinem Text und hoffe, Ihr gebt mir auch feedback...
hier nun aus dem Epilog, da springt Ihr mitten hinein in die Geschichte:
Der Tag
des Pfauenschreis im Garten blieb für
immer in Samiras Gedächtnis eingegraben.
Die
Sonne war noch nicht aufgegangen. Samira
hatte eine unruhige Nacht erlebt, wenn sie die Augen öffnete, sah sie Gespenster,
wenn sie sie wieder schloss, tauchte sie ein in unheimliche Träume, maskierte
Männer verfolgten sie und lange Arme griffen nach ihr. Es gelang ihr jedes Mal,
wegzulaufen und den Männern im letzten Augenblick zu entwischen. Sie bewegte
sich in einer Wüste, kein Baum, kein Strauch bot Schutz. Heulender Wind trieb
Sand vor sich her, Samira lief und lief und lief um ihr Leben.
Als sie
erwachte, klebten die Nachtkleider an ihr, sie hatte nur den einen Wunsch, sich abzukühlen,
ins Wasser zu tauchen, ihr Gesicht am Springbrunnen im Garten ins Wasser zu
halten.
Sie
richtete sich auf und blickte um sich, alles war ruhig, nirgends sah sie diese
schrecklichen Traumgestalten. Schnell holte sie frische Kleidung aus ihrer
Truhe und warf die feuchten Nachtkleider auf den Boden. Schnell und lautlos
kleidete sie sich an.
In jeder
Minute, die sie wach war, wusste Samira, dass sie bis zum Äußersten aufmerksam sein
musste. Ihre morgendlichen Ausflüge zum
Strand gehörten zu den Freiheiten, die sie sich nahm. Sonst konnte sie nur im
Garten herumstreifen, so weitläufig er
auch war, blieb er ein Gefängnis, wenn auch luxuriös mit den Springbrunnen,
freilaufenden Vögeln und alten schattigen Bäumen, unter denen Bänke zum
Ausruhen warteten, stumme Zeugen vieler Ereignisse. Sie wurde ständig von ihrem
Diener Ahmed bewacht, zwar hielt er
Abstand, er war aber da. Er folgte ihr überall hin, auch an den Strand.
Niemand
war wach außer ihr. Im Nebenzimmer schlief ihre Amme Amina, die sich seit
Kinderzeiten um sie kümmerte. Samira sehnte sich nach der frischen Meeresbrise,
die würde ihren Kopf freiblasen von den unheimlichen Schemen, die sie im Traum
verfolgt hatten. Schnell nahm sie noch ihren Spiegel, ein Kunststück aus
geblasenem Glas, das die innere Metallschicht umhüllte. Sie blickte in ein
blasses Gesicht, tiefe Schatten lagen unter ihren dunkelblauen Augen, hellbraune Locken ringelten sich auf ihren
Schultern.
Alles schien ruhig. So
vorsichtig sie auch war, das letzte
bisschen Selbstständigkeit und Selbstbestimmung wollte sie sich nicht nehmen
lassen. Sie schlich sich durch die Flure, dann die Treppen hinunter. Es war
dämmerig, nur durch die schmalen Mauerschlitze, in die nicht mal ein Gewehrlauf
passte, drang etwas Licht hinein.
Ihre
Mutter schlief in einem anderen Teil des kleinen Stadtpalastes, der einige
Gänge von ihrem Raum entfernt war. Samira war froh darüber. Seit ihr Vater von
den Osmanischen Eroberern umgebracht worden war, quälten Depressionen und Weinanfälle ihre
Mutter. Sie konnte die schrecklichen Szenen seiner Gefangennahme nicht
vergessen, die Monate des Wartens und Hoffens, dass er zu ihr und Samira
zurückkehren würde. Am Ende wurde ihr die Botschaft überbracht, dass man ihn
getötet hatte. Sie erlitt sofort eine Fehlgeburt und war doppelt untröstlich. Samiras Wunsch nach einem Bruder oder einer
Schwester wurde wieder nicht erfüllt - es war nicht die erste Fehlgeburt ihrer
Mutter.
Jeder
wusste, dass man ihm die Kehle aufschlitzte
und ihn enthauptete, so wie es Osmanen zu tun pflegen, so, wie sie Tiere
schlachteten, gingen sie auch mit Menschen um. Seitdem war ihre Mutter nicht
mehr dieselbe gewesen. Es war schwer, dies jeden Tag auszuhalten. Einmal in der
Woche kam der Arzt und redete Samira immer gut zu, geduldig mit ihrer Mutter zu
sein. Samira half ihr, wann immer sie Hilfe brauchte, sie versuchte sie
aufzumuntern, mit ihr im Garten spazieren zu gehen, dabei die Tiere zu
beobachten. Es half wenig.
Sie
erzählte ihr selten von ihren eigenen Morgenausflügen. Sie wollte die Warnungen
nicht hören. Sie war sich so sicher, dass sie selbst auf sich aufpassen konnte.
Die
Sonne erhob sich langsam aus der Horizontlinie. Wenn sie dieses Schauspiel sah,
verstand sie immer, warum die Ägypter
die Sonne anbeteten und sie als Gott verehrten. Dieses Farbenspiel, diese
unbeschreibliche Stimmungsvielfalt, die ein unsichtbarer Pinsel an die Leinwand
des Himmels zauberte und das Tag für Tag, Jahr für Jahr, seit Urzeiten.
Ehrfürchtig näherte sie sich der Gartenmauer, beinahe andächtig war ihre
Stimmung. Weit in der Ferne bemerkte sie die Silhouette eines Segelschiffs, wie
ein Scherenschnitt hob das Schiff sich ab gegen die Horizontlinie.
Sie kannte
den Anblick der vorbeifahrenden Segelschiffe. Es waren oft Schiffe der gefürchteten
Korsaren. Sie hatten die Seeräuberei an sich gerissen und operierten im
Mittelmeer mit gefürchteten Raubzügen. Sie kaperten Schiffe der Hansestädte und
fremden Ländern und forderten hohe Summen als Lösegeld für Sklaven und Waren.
Sie brachten ihre Gefangenen dann zurück nach Europa – hauptsächlich Frankreich,
Spanien und England, hatte man ihr
erzählt.
Ein Reh
kam näher und rieb seinen Kopf an ihrem Arm, gefolgt von zwei Pfauen, einem
weißen und einem blauen. Lang schleppten die Schwänze hinter ihnen her. Ihre
kleinen Köpfe ruckten in regelmäßigem Rhythmus nach vorn und zurück, sie
schritten langsam und ruhig dahin. Bis einer von ihnen den Kopf hob und einen
langgezogenen lauten schrillen Schrei ausstieß, noch zweimal, dann flog er auf den nächsten großen
Hibuskusbaum und blieb dort sitzen, fast unbeweglich, der Schwanz hing herab,
die grün und blau schimmernden Federn vermischten sich mit dem orangeroten
Blütenmeer des alten Baums.
Samira
zuckte zusammen – dieser Schrei – das konnte nichts Gutes bedeuten. Ihr fielen
vor Schreck die Ledersandalen aus der Hand und sie blickte hektisch um sich. Sollten
die Schreie sie warnen? Ahmed war herbeigeeilt, ihrem treuen Diener entging
nichts.
„Es ist
nichts, Hoheit!“ sagte er schnell, „nur die Laune der Vögel!“
Samira
nickte. Hoffentlich ist es so, wenn die
Pfauen schreien, hat es immer einen Grund. Sie erinnerte sich an ihre
Großmutter, die ihr das immer gesagt hatte.
Sie
schaute hoch auf den Baum, der Pfau saß ruhig dort und blickte sie an aus
seinen kleinen Augen.
Sie
wollte sich den Morgen nicht durch den Pfauenschrei verderben lassen und war
weiter zum Strand gegangen, wo sie langsam im tiefen Sand einen Fuß vor den
anderen setze. Es war windstill, bloß ein leichter Lufthauch verfing sich in
Samiras hellbraunen Locken, die sie zu einem losen Zopf geschlungen hatte. Sie
hatte Gemälde gesehen, die Odalisken im Harem des Sultans in Konstantinopel zeigten,
die alle diesen Haarstil trugen. Sie hatte auch viele Geschichten über diese
wunderschönen Frauen gehört, die der Sultan um sich versammelte. Sie konnte
sich nicht vorstellen, eine von vielen Ehefrauen eines einzigen Mannes zu sein
und bemitleidete diese Wesen.
Sie war
bei ihrem Baum angekommen, der seine dicken Äste über sie hielt und ihre
elfenbeinfarbene zarte Haut vor der heißer werdenden Sonne schützte. Am Fuß
seines Stammes bildeten zwei dicke Wurzeln eine Mulde, in die sie ihren Kopf
betten konnte und ihren Blick über das Meer schickte. Sie trug immer ein Tuch
bei sich, das sie falten konnte und ihren Kopf darauf legen, so dass der feine
Sand seinen Weg nicht in ihr Haar finden konnte. Diese Zeit am Morgen gehörte
ihr ganz allein, bevor sie ins Haus zurückkehren musste, um auf ihren Lehrer zu
warten, der jeden Tag zu ihr kam. Sie hörte nur das Rauschen der Wellen,
bewacht von Ahmed, der sich in der Hecke verbarg, die den Strand vom Garten
abgrenzte. Dort beobachtete er sorgfältig die Gegend.
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